-

Samstag, 25. Juli 2009

Das Antiquariat im Internet aus der Sicht eines Sammlers

Es ist schon komisch, wenn man nach zwei Wochen, die man nicht im Internet gearbeitet hat, zurückkommt und schaut auf die verschiedenenen Seiten, die man immer besucht. Es ist fast so, als ob man ein bißchen krank gewesen ist und der Arzt verboten hat, nach draußen zu gehen. Wenn man dann wieder hinaus geht, merkt man aber, daß es fast alles so ist wie bevor.

Heute hat Herr Dr. Göllmann bei Twitter einen Hinweis gegeben. Der Gründer der Bookfinder-Plattform, Herr Anirvan Chatterjee, ruft auf zu der Beteiligung an einer „Geschichte des Online-Handels mit Büchern aus der Sicht der Betroffenen“. Ich darf Ihnen den Link hier geben:

http://journal.bookfinder.com/ Und diesen: http://www.booksellinghistory.org/

So eigentlich kann mir das ganz egal sein, denn ich bin ein Sammler und nicht ein Antiquar, und es ist ja auch eine gute Sache, wenn eine Entwicklung recherchiert wird für die Nachwelt aus der Sicht der Betroffenen. Ich habe zu lange die Historiker von der Annales-Schule gelesen, um das nicht zu wissen.

Aber ich habe doch gedacht: Das ist ziemlich cynisch, daß die Computer Leute, die alles umgedreht haben im Handel mit den Alten Büchern, jetzt auch noch die Beiträge sammeln wollen für die eigene Festschrift, und daß die Antiquare jetzt ihren eigenen Grabstein beschreiben sollen (ein bißchen ist es ja so, oder nicht?). Man möchte doch ein Lineal nehmen und Ihnen etwas auf die Finger klopfen, oder nicht? Herr Dr. Göllmann hat aber auch geantwortet, daß die Welt im Internet nicht schwarz ist und weiß und daß die Antiquare ja auf den Plattformen verkaufen können. Das stimmt natürlich auch, aber in mir ist eine Neigung aufgewacht gegen diese Art, die Sache zu sehen, und das will ich jetzt zusammenfassen.

Es ist eine von meinen großen Freuden gewesen, hier in Deutschland, in Dänemark, Schweiz, Italien und in meiner Heimat die Antiquariate zu besuchen und durchzuschauen. Es gab verschiedene Gattungen von Geschäften, das ist so, gute Geschäfte und schlechte Gschäfte dabei. Aber man wußte es, wenn man dahin ging. Eine zweite große Freude war immer für mich, die Kataloge aus England, den Niederlanden und Deutschland zu bekommen. Wenn Sie ganz luxuriös waren, war es am besten. Es gab in den Winkels (niederländisch für Läden, das paßt doch ganz gut) manchmal Leute, die man in ein Museum bringen mußte, weil sie so originell waren, oder in eine Universität, weil sie so schlau waren. Und man wußte doch genau, wenn Du dahin gehst, dann kannst Du ein paar Taschenbücher kaufen, wenn Du anderswo hingehst, kannst Du das Unglück erleben, daß der Laden wieder geschlossen ist, weil der Besitzer eine Weinflasche gefunden hat in seinem Lager, und wenn Du dahin gehst, kannst Du ganz gute Sachen kaufen, aber Du mußt ein bißchen mehr Geld mitnehmen und so fort. Das merkte man gleich, wenn es ein richtiger Antiquar war, der seine Sache verstand. In Bremen gab es ein kleines Haus in der Altstadt, da war ein Händler, der war ein Experte in seinem Gebiet, er hat die Kunden aus der Tür geworfen, wenn er gemerkt hat, daß sie nur Quatsch reden wollten. Ich bin oft nach Hause gegangen mit einem Buch und habe umsonst eine Geschichte mitgenommen, die war manchmal noch schöner, als das Buch, und die Gegend gesehen, wo das Buch herkommt. Viele Kataloge stehen hier heute auch bei mir im Regal und ich nehme Sie heraus und kann nachlesen und lerne viel dazu, obwohl ich sie schon so oft gelesen habe.

Wenn ich heute alle die Bücher kaufen soll, die ich so bekommen habe, dann habe ich quadratische Augen und bin fett geworden vom Sitzen vor dem Computer. Und nach ein paar Tagen kommt ein Paket, aber es gibt keine Geschichte dazu, nur eine Factura. Ich habe es schon erlebt, es ist nicht einmal die Beschreibung von dem Buch mehr nachzuschauen im Internet. So das ist für mich schon ein Grund, wieder die Antiquare personlich zu besuchen. Aber was ist da passiert? Die Winkels sind geschlossen, nur ein paar sind noch da. Und es ist nichts mehr zu entdecken in den Ladengeschäften, was nicht verglichen ist und schon 5 Mal überall angeboten wird.

In den Niederlanden ist es sogar zu einer großen Concentration gekommen. Die großen Händler haben viele kleine Händler gekauft, weil die sich nicht mehr ernähren können und jetzt geflohen sind in eine fremde Arbeit. In Deutschland ist es anders, wegen der Arbeitslosigkeit auch, da ist es fast anders herum, und es gibt viele Tausend neue Antiquare, die im Internet Bücher verkaufen wollen. Aber das sind gar keine Antiquare, auch wenn man den guten Willen hat und gerne möchte, daß sie Antiquare sind. Das sind second-hand-bouquinisten, die muß es auch geben, aber nicht ein paar Tausend. Und wenn die ein gutes Buch haben, dann verkaufen die es für die Hälfte vom Wert und ruinieren noch die richtigen Antiquare.

Und die Plattformen (von den Plattformen gibt es auch viele) mischen alles zusammen. Das ist ein Pot-auf-feu von Durcheinander, der kann nicht schmecken. Und man kann nicht denken, daß Bücher-Kenner die Plattformen gemacht haben. Die Plattformen funktionieren schon, das müssen Maschinen ja. Aber man denkt, daß Marsmenschen gelandet sind, die gar nicht verstehen, was Bücher sind und wie sich die Bücher ja aufteilen. Man muß denken, daß die Marschmenschen noch nicht eine Buchkunde gelesen haben und die Bücher sortieren in große, kleine, rote, grüne, dicke, dünne und so fort. So es ist wie auf dem Flohmarkt. Man muß einen Berg umgraben, der Verkäufer weiß nichts, und dann kann man vielleicht Glück haben und etwas Schönes finden. Aber wenn ich das möchte, dann gehe ich personlich auf den Flohmarkt.

Der alte Handel ist so umgemodelt worden ist durch das Internet, das finde ich ganz furchtbar. Aber es ist nicht zurück zu drehen. Es ist wie ein Buch von Dickens, als ob ein Manchester Kapitalist ein Dorf gekauft hat mit alten Manufakturen und die Leute auch gekauft hat und überredet, jetzt in der Fabrik zu arbeiten. Und nach ein paar Jahren haben sie es vergessen, was sie vorher waren, und sind Gehilfen von den Automaten geworden. Und dann sagt der Fabrikbesitzer: So, jetzt mußt Du 100 Stücke machen, nicht mehr nur 90, und übermorgen mußt Du 120 machen, aber das Geld bleibt gleich. Aber Du kannst auch kündigen, dann darfst Du zu der Fürsorge gehen.

Das ist eine Folge davon, daß die modernen Bücher und die bibliophilen Bücher (so zwischen 200 und 2000 Euro) billiger geworden sind. Zu billig ist aber gar nicht gut. Da kann der Antiquar nicht gut leben, und dem Sammler macht es doch schon gar keinen Spaß mehr, sie zu kaufen, wenn sie immer billiger werden. Es ist immer alles zu bekommen, aber es ist wie vor die Füße geworfen. So geht man nicht um mit den Sachen, die einen Wert haben sollen, und damit sagt man den Antiquaren: „Du bist nichts wert, und Deine Arbeit auch nicht!“

Und es ist auch die Frage, wie die junge Generation lernen kann, Unterscheidungen zu finden und Qualität zu erkennen, wenn die Gegenstände in der Wirklichkeit nicht mehr da sind. Das ist ja auch in den alten Antiquariaten so gewesen: Man lernt durch das Anschauen, Anfassen, und die Erklärungen von einem Fachmann, man lernt nicht durch das Reiben an der Maus und das Herumklopfen auf der Tastatur.

Die ganz seltenen Bücher wissen bald wohl gar nicht mehr, wohin sie sollen. Die gehen dann auf Auktionen oder nach Amerika und sind ganz große Spezial-Objekte, von denen man gar nicht mehr glaubt, daß es Bücher sind. Das sind dann Wunderdinge. So alles ist auseinander dividiert, das ist ganz gegen die Tradition und die Vernunft und die Buchgeschichte. Das ist der Erfolg von dem Internet, daß es das abschaffen wird, was es jetzt inflationär verteilt.

Das war jetzt zu lange gesprochen. Noch ein Zitat muß ich Ihnen geben. Ich habe es aus einem Kommentar von der Seite des Börsenblatts genommen.: http://www.boersenblatt.net/151997/. Der Verfasser ist auch ein Antiquar, wie ich gesehen habe:

„Eine Anekdote erzählt von dem Martin-Breslauer-Kompagnon Edmund Meyer, Breslauer & Meyer war das bedeutendste Antiquariat in Preußen (vielleicht in Deutschland, vielleicht in der Welt) vor 1914. Meyer sei weich von Gemüt, liebte schwärmerisch Musik, besonders Beethoven, und das stundenlange Betrachten von Kinderbüchern, berichtet Paul Leroy aus Paris. Er suchte einmal ein verlangtes Buch auf der obersten Reihe der Regale, stieß dabei auf englische Kinderbücher und vertieft in die Lektüre, blieb er gebannt auf der Leitersprosse stehen, bis ein Kunde rief: „Werde ich vielleicht endlich bedient?“ Er kam ernst die Leiter herunter. „Bedient wird hier überhaupt nicht. Ich bin nicht Ihr Diener! Aber wenn Ihnen unter meinen schönen Büchern eins gefällt, können Sie es vielleicht gegen entsprechende Bezahlung erwerben.“
Das ist ein Held, mein Held. Vielleicht geht der Kundschaft einmal der Zusammenhang zwischen eilfertiger Bereitstellung und Belanglosigkeit des Angebots auf. Darauf wollen die Datenbanken die Antiquare reduzieren, auf eilfertige Ladenschwengel“.

Ja, mein Held ist das auch. Bei so einem Herrn möchte ich auch gerne ein Buch kaufen, weil es ein Mensch ist, der die Bücher verstanden hat. Ich weiß nicht exact, was ein Ladenschwengel für eine Bedeutung hat (bei mir steht „jonge winkelbediende“, das ist vielleicht ein bißchen euphemistisch?), aber ich kann es mir denken.

Im Online-Handel geht es nicht mehr um das Buch und die Kunst, es geht nicht mehr um das Glück, etwas Schönes zu finden, oder daß man die Kultur versteht und weiter geben kann. Es geht darum, 100 Sterne bei Amazon und Ebay zu bekommen, und billige Versandkosten zu haben und Schäppchen zu machen. Aber das schafft den Rest ab von dem Originellen, darf ich sagen: Originären?

Jetzt habe ich mich genug aufgeregt, und ohne Portwein, aber das mußte doch einmal sagen

Ihr Geert de Kuyper

Montag, 29. Juni 2009

Wie süß die Liebe ist

Liebe Leser, es gibt manchmal eigenartige Kupferstiche und Bilddarstellungen, von denen man nicht leicht sagen kann, was sie bedeuten sollen und was sich hinter ihnen versteckt. In einem interessanten BLOG von Bibliodyssey (http://bibliodyssey.blogspot.com/) habe ich diesen Kupferstich gefunden:

Das Bild ist von Adriaen Pietersz van de Venne gemalt und wahrscheinlich von Jacob Matham gestochen worden. Es ist nicht signiert, man weiß es nicht ganz genau. Van de Venne ist ein sehr produktiver Kupferstecher im 17. Jahrhundert gewesen, der auch für Emblembücher gestochen hat (so nähert man sich schon der Wahl des Motivs). Ich wollte gerne Ihnen eine kleine Ansprache halten, warum das Schlittschuhlaufen so typisch ist für viele Bilder aus dem 17. Jahrhundert, aber das möchte ich auf später verschieben. Jetzt möchte ich Ihnen nur noch einen Fund zeigen, der zu dem Stich mit den beiden Eulen paßt. Ich habe ihn aus dem umfangreichen Werk von Hollstein, Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, Vol. XXXV, No. 19, entnommen. Auch hier ist der Zeichner van de Venne und der Stecher Matham. Die Qualität ist nicht so gut, weil es von einer Kopie genommen ist:

Aber so süß kann die Liebe nicht sein, wenn Sie auf die Gesichter schauen... Sie sehen aber auch hier, daß angespielt wird auf Sprichwörter und dem Bild ein Motto zugeschrieben ist, das verweist auf die emblematische Struktur. Nur es ist eine ironische Umschreibung enthalten. Man kann an das alte Sprichwort denken: "Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch." (Wanneer de kat van huis is, dansen de muizen op de tafel). Und auch an die Redewendung: "Sie sind wie Katze und Hund". Aber ganz bestimmt leben die Beiden nicht wie ein Hund und eine Katze, es geht ihnen doch ganz gut.

Daß es Ihnen auch so gut geht, wünscht Ihnen von Herzen Ihr Geert de Kuyper

Sonntag, 21. Juni 2009

Eine kleine Betrachtung zum Anfang

Was macht ein Sammler, der ein gutes Exemplar von einem Buch besitzt, das für ihn eine große Bedeutung hat, das er seit Jahren treu aus dem Regal nimmt, um die Abbildungen anzuschauen, um die Motive und Bildunterschriften zu vergleichen, auch schon viele Zettel mit Notizen in das Buch gesteckt hat, das ihm viele glückliche Stunden im Leben beschert hat, was macht so ein Sammler, der ein weiteres, besonderes Exemplar dieses Buchs in einem Antiquariat findet?


So ist es mir gegangen mit der Ausgabe der Wercken von Cats aus dem Jahr 1726, einem besonders luxuriös gestalteten Emblembuch mit über 400 Bildern, der letzten und besten Ausgabe in Folio. Bei meinem altem Exemplar sind zwei Teile in einem Band gebunden, was schon einen sehr dicken Rücken macht, aber das Leder ist stark genug, das zu halten. Es ist wie ein altes Möbel und wackelt etwas. Es war einmal bestimmt ein sehr schönes Stück in rotem Marocco–Leder mit vergoldetem Rahmen auf den Deckeln, aber es ist doch gedunkelt und abgegriffen. Der schwere Block hat die Kanten bestoßen, und die Ecken unten sind schon gerundet. Aus der Zeit der Ofenheizung vielleicht ist Asche in die Bindung gefallen und hat es dort gedunkelt.


Das neue Exemplar, was ich gesehen habe, ist ein Spitzenstück. Es sind zwei Bände auf schneeweißem, besonders großem Papier, die Kupferstiche sind perfekt und fast plastisch gedruckt. Die Einbände sind aus hellbraunem Kalbsleder mit dunkelbraunen Intarsien an den Deckeln, die mit breitem vergoldeten Filetenwerk abgegrenzt sind. Auch der Rücken ist mit einer sauberen Carre–Vergoldung versehen, wie sie im Rokoko üblich war. Vielleicht ist es etwas später gebunden, aber es ist nahezu wie aus der Werkstatt. Das habe ich so noch nicht gesehen.


Was macht der Sammler? Zuerst sagt er sich, daß ist ganz schön, aber es ist nicht so ein seltenes Stück. Das stimmt schon, aber oft ist diese Ausgabe kaputt oder dreckig, weil diese Bücher gerne angeschaut worden sind. Dann sagt er sich, ich habe ja schon ein Exemplar, das ist fast genauso schön. Und das hier ist auch viel zu teuer. Da stimmt beides nicht. Dann hofft er, vielleicht hat es einen Mangel und es fehlt etwas. Aber das stimmt auch nicht, es hat sogar zwei zusätzliche Kupfer aus einem anderen Emblembuch als Zugabe. Dann geht er nach Hause und denkt sich, es ist besser, etwas zu kaufen, was ich noch nicht habe. Aber er ärgert sich auch, weil er weiß, daß er so ein Stück nicht wieder bekommen wird und dann ärgert er sich noch mehr, daß er nicht zufrieden ist mit dem, was der liebe Gott ihm gegeben hat und schon bezahlt ist.


Zuhause hat er dann das Gefühl, er darf sein altes Exemplar gar nicht mehr so richtig anschauen, als ob er es betrogen hat. Dann ärgert er sich, so einen Quatsch zu denken. Aber so nach und nach macht er sich einen Plan, warum er das zweite Exemplar doch haben muß. Es gibt Abbildungen zum vergleichen und Varianten zum untersuchen, das alte Buch kann er als Arbeitsexemplar nehmen, das neue nur ein paar Jahre behalten und dann verkaufen und so fort. Und der Verkäufer ist auch ein fairer Händler und hat immer schöne Bücher gehabt. Wenn ich es auf einer Versteigerung sehen würde und mich gleich entscheiden müßte, würde ich es bestimmt kaufen, sagt sich der Sammler. Und dann ist es bald beschlossen, daß es das Vernünftigste ist, schnell das neue Exemplar zu kaufen. Nur hoffentlich hat in der Zwischenzeit kein anderer das Buch mitgenommen (das ist eine Angst, die ganz grundlos ist, das weiß man, wenn man den antiquarischen Buchhandel kennt).


Das war nur eine kurze Betrachtung, wie Liebe oft mit einem kleinen Schmerz gemischt ist. Jedenfalls war es bei mir immer so. Wie die Näherin bei Cats zu dem liebeskranken Cavalier sagt: „Ehe man genießt die Freuden / muß man vorher manches leiden“ (Motto: Post tristia dulcor).


Das wünscht Ihnen auch, aber nicht zu übertrieben, Ihr Geert de Kuyper.